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January 11, 2018

Ein neues Verständnis für den Wertewandel - im Gespräch mit Charles Eisenstein

Charles Eisenstein ist Sozialphilosoph, Redner und Autor diverser Bücher einschließich The Ascent of Humanity (2007), Sacred Economics (2011), und The More Beautiful World Our Hearts Know Is Possible (2013). Nach Eisenstein basiert jedes System auf einer sie unterfütternden Weltsicht, einer Geschichte.

Er unterscheidet die alte Geschichte - eine Geschichte der Trennung - in welcher Menschen sich als voneinander und dem Rest der sie umgebenden natürlichen Welt als getrennt sehen, von der neuen Geschichte - einer Geschichte des Zwischendaseins - in welcher wir Menschen anfangen zu begreifen und danach zu handeln beginnen, was uns wirklich wichtig ist. Er ist davon überzeugt, dass die kraftvollste Art, das System zu verändern ist, diese Geschichte zu ändern. Im Rahmen seines Aufenthalts in Berlin für einen OuiShare Talk im vergangenen Jahr hatten wir die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Thomas Dönnebrink: Zugang schlägt Besitz; verändert dieser Hauptaspekt der kolloborativen Wirtschaft fundamental und nachhaltig das Konzept unserer auf Besitz und Eigentum basierenden Wirtschaft und Gesellschaft? Jüngeren Menschen scheinen zunehmend Privateigentum ein nicht mehr so hocher Wert zu sein.Charles Eisenstein:

Das steht in Bezug zu einer Verschiebung in der Konzeption der Selbstvorstellung. Privatbesitz macht viel Sinn wenn man sich selbst als getrenntes Individuum in einem feindlichen Universum begreift in dem jeder nur auf die Maximierung seiner Eigeninteressen aus ist. Die Verfügungsgewalt und Kontrolle von Dingen bedeutet: Ich kann es nutzen und du nicht. Ich habe die Kontrolle über diese Ressource. Wer die Welt als kompetitiv und feindselig versteht, wird dies wollen und wertschätzen, aber wer die Welt und sich selber anders sieht, wird dem nicht mehr so einen hohen Wert beimessen. Ich möchte nicht behaupten, dass die Geschichte notwendigerweise zuerst kommt, aber woher haben wir diese Geschichte? Zum Teil kommt sie daher, weil wir in einer Welt leben, welche diese Geschichte reflektiert. Sie bestärken sich gegenseitig. Welche Rolle spielt in diesem Bild die Sharing Economy, Kollaborative Ökonomie, Peer-zu-Peer Netzwerke - einige sprechen von einer Peer-zu-Peer Revolution? Aus dem linken politischen Spektrum kommt eine starke Kritik, dass die Idee der Sharing Economy nicht wirklich etwas verändert. Ich glaube allerdings, dass es ein Schritt in eine mehr Commons basierte gemeinschaftliche Lebens- und Gedankensweise ist. Bei Airbnb profitierst du weiterhin von deiner exklusiven Nutzungskontrolle deines Apartments. Ein Linker könnte sagen:"wie ändert dies etwas?". Es ist weiterhin Kapitalismus. Aber es ist dezentralisiert und das Wirtschaftswachstum, welches durch die Sharing Economy generiert wird, trägt mit neuen Gütern und Dienstleistungen zur Wirtschaft bei. Sagen wir einmal, das BIP erhöht sich um 100 €, jedes Mal wenn du dein Apartment vermietest - dann schrumpft die Hotelindustrie um einen Faktor, der größer ist als der Sharing Economy Zuwachs, weil es keine Zwischenhändler, keine zentralisierten Infrastrukturen gibt. Somit ist das Teil des Degrowth-Trends. Dies ist sehr bedrohlich für das Finanzsystem. Es ist ein kleiner Schritt zur Idee: Apartments sind zum Teilen da. Es gewöhnt die Menschen daran, Dinge zu teilen. Selbst wenn Geld dabei involviert ist, denn der nächste Schritt könnte sein, dass du dich selber nicht mehr als der Eigentümer betrachtest. Daher ist es signifikanter, als die linke Kritik es sieht. Manchmal wird gesagt, dass für das Car Sharing weiterhin Autos gebraucht werden; was aber, wenn man die "Volldroge" Privatauto vergleicht mit der "Halbdroge", bei Bedarf ein Auto zu mieten oder teilen? Ja, wo Car Sharing in größerem Stil praktiziert wird, werden weniger Autos gebraucht. Das ist auch Degrowth. Es wird diskutiert - auch innerhalb von OuiShare - was es bedeutet, dass große Venture Capital Firmen nun Millionen und Billionen in die Sharing Economy investieren. Sind sie dabei, die Sharing Economy wieder in die kapitalistische Welt zu integrieren oder sich selber auszuverkaufen? Versuchen sie lediglich das letzte bißchen auszupressen, bevor sie eingehen? Ich glaube, man kann in der Sharing Economy schon Geld machen. Google hat eine Menge Geld verdient, aber den Betrag, den sie einfahren, entspricht nicht dem Geldbetrag, der den traditionellen Medien verloren geht. Wikipedia ist ein gutes Beispiel. Sie machen nicht wirklich Geld, weil sie non-profit sind. Man kann in der Sharing Economy Geld verdienen, aber mehr Geld wird im Außen verloren. Das ist Teil des Degrowth-Trends. Die Bertelsmann Stiftung - eine deutsche Mainstreamstiftung - brachte in einer Umfrage zu Tage, dass sich fast 90% der Menschen in Deutschland und Österreich eine andere Wirtschaftsordnung wünschen. Warum haben wir dann noch diese Wirtschaftsordnung? Menschen nehmen die ganze Zeit an Systemen teil, an die sie nicht wirklich glauben. Im Kommunismus war es ebenso. In der Sowjetunion und in Ostdeutschland haben am Ende selbst die Eliten nicht mehr an das System geglaubt. Dennoch erschien es, als würde jeder daran glauben. Alle Institutionen waren mächtig wie zuvor, aber der Kern war weg. Oder der Glaube war verschwunden. Ich glaube, bei uns ist es jetzt eine ähnliche Situation. Die meisten Jobs in unserer Gesellschaft sind jetzt nicht so, dass Menschen sie wirklich machen wollen, besonders wenn Ihnen bewusst wird, dass sie zur Zerstörung des Planeten beitragen. Dennoch machen sie weiter, weil sie Angst davor haben, was passieren mag, wenn sie ihren Job kündigen. Um wirklich zu vermeiden, mitschuldig zu werden, musst du aber ab einem bestimmten Punkt auch die Regeln brechen. Es ist daher ziemlich offensichtlich, warum Menschen weiterhin partizipieren. Was muss sich verändern, was muss verändert werden, damit Veränderung geschehen kann? Es ist interessant, dass du sagst: was muss sich verändern und dann was verändert werden muss. Die zweite Art zu Fragen ist anders. Vielleicht könnte eine Frage sein, wie wir an dieser Veränderung teilnehmen und ich glaube die Antwort fällt für jeden anders aus. Es ist schwer, hier eine allgemeine Anweisung zu geben, was du tun sollst. Die Art und Weise, wie ich es beschreibe, ist, dass alle unsere Systeme auf einer Geschichte aufgebaut sind, welche auf jeder Ebene operiert: der politischen, pädagogischen, medizinischen, sozialen, ökonomischen, architektonischen, personellen und interpersonellen. Diese Geschichte ist die Grundlage für das gesamte System. Diese Geschichte zu ändern, ist der tiefgreifenste Weg, das System zu verändern. Diese Geschichte zu verändern, bedeutet anders zu leben und in Aktion und in Beziehung zu treten mit anderen Menschen, die nicht in diese alte Geschichte passen. Das sagt praktisch: die Welt ist nicht, wie du dachtest. Die Welt funktioniert nicht, wie du dachtest. Und du bist nicht mehr der oder die du dachtest zu sein. Die Geschichte zu verändern, hängt davon ab, auf welcher Ebene du operierst und hängt von deiner Situation im Leben, deinen persönlichen Fähigkeiten und was dich zu diesem Zeitpunkt anzieht, ab. Kannst du uns ein Beispiel geben, wie die "alte Geschichte", die “alte Erzählweise”, zu verändern ist? Die Geschichte des Au-Pair-Mädchens, welches Geld der Familie gestohlen hat und in der der betreute Junge all sein Geld nimmt, um es seiner Mutter mit der Bitte zu geben, es dem Mädchen zu schicken, da sie scheinbar Geld braucht. Das ist ein gutes Beispiel, die Matrix zu sprengen. Jemand stiehlt dir Geld und du gibst ihm noch mehr; das lässt ihre Geschichte der Welt zerbrechen. So etwas sollte nicht passieren. Aber wenn es passiert, ist man gezwungen zu reevaluieren. Hier ist ein Datenpunkt, der nicht in den Rahmen - in die Matrix - passt. Du musst alles neu schreiben. Du musst alles ändern, damit dieser Punkt reinpasst. Allerdings haben Geschichten auch Immunsysteme. Oftmals, wenn jemand einen solchen Punkt sieht, eine Erfahrung macht, die nicht in seine oder ihre Weltanschauung passt, eliminieren sie diesen Punkt. Sie werden sagen.... ...es scheint einfach unbedeutend. Richtig. Das war eine Anomalie, das ist nicht wirklich passiert. Diese Person hat mich eigentlich nur ausgenutzt. Oder diese Person hat ein mentales Problem, darum war sie so großzügig. Oder diese Person möchte sich einfach nur gut fühlen. Es gibt immer einen Weg der Verneinung. Die Einladung zu verweigern. Aber jede Erfahrung, die nicht in die Welt passt, die du kennst, ist eine Einladung in eine größere Welt. Ich denke, wir können Menschen durch die Art und Weise, wie wir in der Welt sind, diese Einladung anbieten. Es könnte auf persönlicher Ebene geschehen, aber auch auf politischer Ebene. Es könnte auf jeder Ebene passieren. Aber woher bekommt jemand die Fähigkeit, ja dazu zu sagen? Warum sagt die eine Person nein dazu, wenn diese Erfahrung gemacht wird? Wenn jemand Großzügigkeit erfährt, so ist dies eine Einladung, selbst großzügig zu werden. Diese Einladung kann man nun annehmen oder zurückweisen, indem man sagt: "ich habe es sowieso verdient". Aber was unterscheidet die beiden Personen? Ist eine besser als die andere? Hat es eine von beiden mehr versucht? Oder hat eine Person eine Erfahrung gemacht, die sie etwas mehr geöffnet hat? Ich glaube daher, dass man fast gar nichts tun kann, um erleuchteter zu werden. Was wird sich innerhalb der nächsten fünf Jahren signifikant ändern? Was wahrscheinlich passieren wird, ist, dass die Dinge für einige weitere Jahre beim Alten bleiben und sich sogar noch intensivieren werden. Und dann wird es eine weitere gravierende Krise irgendeiner Art geben. Es könnte eine finanzielle Krise oder eine irgendwie geartete nationale Katastrophe sein. Das ist wie mit einem Seil, welches enger und enger gespannt wird. Wenn es locker ist, braucht man eine Menge Gewalt, um es durchzuschneiden, aber wenn es sich spannt, genügt der geringste Anlass, es reißen zu lassen. Das bedeutet, dass man den Zeitpunkt, wann dieses Ereignis eintreten wird, nicht wirklich vorhersagen kann. Natürlich könnte sich morgen eine Naturkatastrophe ereignen und alles verändern. Oder eine ökonomische Krise. Viele erwarten, dass das Geldsystem kollabieren wird. Gibt es einen Weg, wie Währungen, alternative Währungen, komplementäre Währungen oder die Art und Weise, wie sie geschaffen werden, irgendwie helfen können, den Prozess zu verbessern? Oder wie könnten sie die Commons unterstützen? Viele Menschen fragen sich, welche Rolle Geld in diesem Kontext spielt und spielen sollte. Ich glaube komplementäre Währungen sind vor allem als eine Art Beweis dafür hilfreich, dass ein anderer Weg möglich ist, aber ich glaube nicht, dass sie eine große Wirkung haben. Kannst du Bespiele geben? Wo siehst du, das sie funktionieren? Viele kommen und gehen. Also ich sehe keine von ihnen wirklich gut funktionieren. Ich meine, das Bristol Pound funktioniert ziemlich gut, weil auch die lokale Regierung daran teilnimmt. Es gab mal welche in Brasilien. Zeitbanken können sehr gut funktionieren, aber ihr Effekt ist ziemlich marginal. Wenn man sie wirklich nutzen möchte, müsste man aufhören Geld und normale Währungen zu benutzen. Dies passiert in Gegenden wie Griechenland, wo es keins gibt, aber die Menschen weiterhin Kartoffeln haben und andere Wege entwickeln. Es muss eine große Veränderung geben. Es muss eine große Krise geben. So kommt Veränderung zustande. So ereignet sich Geburt. So ereignet sich Tod. So kommen große Veränderungen zustande. Und das ist, was passieren wird. Oftmals wenn du auf der anderen Seite der Krise bist, wird dir bewusst, dass es gar nicht so eine große Krise war, wie du befürchtet hast. Es ist furchteinflößender, von dieser Seite als von der anderen Seite. Auf der anderen Seite magst du sagen, "ja wir waren obdachlos für eine Weile, wir haben für ein halbes Jahr mit 30 Leuten in einer Wohnung gelebt, aber es war nicht so schlimm". Es gibt schlimmere Dinge die jetzt passieren - Kinder verhungern - ich glaube das muss nicht passieren. Ja, wir sind durch viel härtere Zeiten gegangen. In Zeiten von Kriegen. Richtig. Aber das ist der Anschein. Was ich wirklich als Krise ansehe, ist wenn existierende Bedeutungs- und Wertsysteme auseinanderfallen. Wenn für die Menschen die Art und Weise, wie die Welt um sie herum funktioniert keinen Sinn mehr stiftet. Das macht den Weg frei für Menschen, andere Systeme zu nutzen, neue Bedeutungs- und Wertsysteme. Würdest du zustimmen, dass im Kern der Veränderung eine Wertewandel greift? Ich glaube, dass der Wertewandel hervorgerufen wird von einer Wahrnehmungsverschiebung der eigenen Innenwelt. Die Zähmung des Wilden wurde früher sehr wertgeschätzt und Menschen sind gern in Zoos und in den Zirkus gegangen, weil hier die Bestätigung sichtbar wurde, dass sie die Beherrscher der Natur waren. Heute ist das kein so ein hoher Wert mehr. Im Gegenteil: es stößt zunehmend ab. Wir wollen die Wildnis und Natur bewahren und von ihr lernen. Dieser Wertewandel kommt von einer Verschiebung der Wahrnehmung von wer wir sind und was Natur ist. Nämlich nicht nur eine Ressource, die tot ist und in der lediglich chemische Prozesse passieren oder die aus einem Haufen von Mineralien bestehen. Wir beginnen Natur mit anderen Augen zu sehen und wir sehen uns selber anders in Beziehung zur Natur. Wir erkennen, dass wir nicht nur praktisch, sondern fundamental von der Natur abhängig sind in einer Weise, der wir uns niemals entziehen können. Dieses neue Verständnis wird andere Werte schaffen. Vielen Dank für das Gespräch Charles!Charles Eisenstein ist ebenfalls einer der Speaker, die dieses Jahr zum OuiShare Fest kommen werden. Sei mit dabei!

Ein neues Verständnis für den Wertewandel - im Gespräch mit Charles Eisenstein

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Thomas Doennebrink
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Charles Eisenstein ist Sozialphilosoph, Redner und Autor diverser Bücher einschließich The Ascent of Humanity (2007), Sacred Economics (2011), und The More Beautiful World Our Hearts Know Is Possible (2013). Nach Eisenstein basiert jedes System auf einer sie unterfütternden Weltsicht, einer Geschichte.

Er unterscheidet die alte Geschichte - eine Geschichte der Trennung - in welcher Menschen sich als voneinander und dem Rest der sie umgebenden natürlichen Welt als getrennt sehen, von der neuen Geschichte - einer Geschichte des Zwischendaseins - in welcher wir Menschen anfangen zu begreifen und danach zu handeln beginnen, was uns wirklich wichtig ist. Er ist davon überzeugt, dass die kraftvollste Art, das System zu verändern ist, diese Geschichte zu ändern. Im Rahmen seines Aufenthalts in Berlin für einen OuiShare Talk im vergangenen Jahr hatten wir die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Thomas Dönnebrink: Zugang schlägt Besitz; verändert dieser Hauptaspekt der kolloborativen Wirtschaft fundamental und nachhaltig das Konzept unserer auf Besitz und Eigentum basierenden Wirtschaft und Gesellschaft? Jüngeren Menschen scheinen zunehmend Privateigentum ein nicht mehr so hocher Wert zu sein.Charles Eisenstein:

Das steht in Bezug zu einer Verschiebung in der Konzeption der Selbstvorstellung. Privatbesitz macht viel Sinn wenn man sich selbst als getrenntes Individuum in einem feindlichen Universum begreift in dem jeder nur auf die Maximierung seiner Eigeninteressen aus ist. Die Verfügungsgewalt und Kontrolle von Dingen bedeutet: Ich kann es nutzen und du nicht. Ich habe die Kontrolle über diese Ressource. Wer die Welt als kompetitiv und feindselig versteht, wird dies wollen und wertschätzen, aber wer die Welt und sich selber anders sieht, wird dem nicht mehr so einen hohen Wert beimessen. Ich möchte nicht behaupten, dass die Geschichte notwendigerweise zuerst kommt, aber woher haben wir diese Geschichte? Zum Teil kommt sie daher, weil wir in einer Welt leben, welche diese Geschichte reflektiert. Sie bestärken sich gegenseitig. Welche Rolle spielt in diesem Bild die Sharing Economy, Kollaborative Ökonomie, Peer-zu-Peer Netzwerke - einige sprechen von einer Peer-zu-Peer Revolution? Aus dem linken politischen Spektrum kommt eine starke Kritik, dass die Idee der Sharing Economy nicht wirklich etwas verändert. Ich glaube allerdings, dass es ein Schritt in eine mehr Commons basierte gemeinschaftliche Lebens- und Gedankensweise ist. Bei Airbnb profitierst du weiterhin von deiner exklusiven Nutzungskontrolle deines Apartments. Ein Linker könnte sagen:"wie ändert dies etwas?". Es ist weiterhin Kapitalismus. Aber es ist dezentralisiert und das Wirtschaftswachstum, welches durch die Sharing Economy generiert wird, trägt mit neuen Gütern und Dienstleistungen zur Wirtschaft bei. Sagen wir einmal, das BIP erhöht sich um 100 €, jedes Mal wenn du dein Apartment vermietest - dann schrumpft die Hotelindustrie um einen Faktor, der größer ist als der Sharing Economy Zuwachs, weil es keine Zwischenhändler, keine zentralisierten Infrastrukturen gibt. Somit ist das Teil des Degrowth-Trends. Dies ist sehr bedrohlich für das Finanzsystem. Es ist ein kleiner Schritt zur Idee: Apartments sind zum Teilen da. Es gewöhnt die Menschen daran, Dinge zu teilen. Selbst wenn Geld dabei involviert ist, denn der nächste Schritt könnte sein, dass du dich selber nicht mehr als der Eigentümer betrachtest. Daher ist es signifikanter, als die linke Kritik es sieht. Manchmal wird gesagt, dass für das Car Sharing weiterhin Autos gebraucht werden; was aber, wenn man die "Volldroge" Privatauto vergleicht mit der "Halbdroge", bei Bedarf ein Auto zu mieten oder teilen? Ja, wo Car Sharing in größerem Stil praktiziert wird, werden weniger Autos gebraucht. Das ist auch Degrowth. Es wird diskutiert - auch innerhalb von OuiShare - was es bedeutet, dass große Venture Capital Firmen nun Millionen und Billionen in die Sharing Economy investieren. Sind sie dabei, die Sharing Economy wieder in die kapitalistische Welt zu integrieren oder sich selber auszuverkaufen? Versuchen sie lediglich das letzte bißchen auszupressen, bevor sie eingehen? Ich glaube, man kann in der Sharing Economy schon Geld machen. Google hat eine Menge Geld verdient, aber den Betrag, den sie einfahren, entspricht nicht dem Geldbetrag, der den traditionellen Medien verloren geht. Wikipedia ist ein gutes Beispiel. Sie machen nicht wirklich Geld, weil sie non-profit sind. Man kann in der Sharing Economy Geld verdienen, aber mehr Geld wird im Außen verloren. Das ist Teil des Degrowth-Trends. Die Bertelsmann Stiftung - eine deutsche Mainstreamstiftung - brachte in einer Umfrage zu Tage, dass sich fast 90% der Menschen in Deutschland und Österreich eine andere Wirtschaftsordnung wünschen. Warum haben wir dann noch diese Wirtschaftsordnung? Menschen nehmen die ganze Zeit an Systemen teil, an die sie nicht wirklich glauben. Im Kommunismus war es ebenso. In der Sowjetunion und in Ostdeutschland haben am Ende selbst die Eliten nicht mehr an das System geglaubt. Dennoch erschien es, als würde jeder daran glauben. Alle Institutionen waren mächtig wie zuvor, aber der Kern war weg. Oder der Glaube war verschwunden. Ich glaube, bei uns ist es jetzt eine ähnliche Situation. Die meisten Jobs in unserer Gesellschaft sind jetzt nicht so, dass Menschen sie wirklich machen wollen, besonders wenn Ihnen bewusst wird, dass sie zur Zerstörung des Planeten beitragen. Dennoch machen sie weiter, weil sie Angst davor haben, was passieren mag, wenn sie ihren Job kündigen. Um wirklich zu vermeiden, mitschuldig zu werden, musst du aber ab einem bestimmten Punkt auch die Regeln brechen. Es ist daher ziemlich offensichtlich, warum Menschen weiterhin partizipieren. Was muss sich verändern, was muss verändert werden, damit Veränderung geschehen kann? Es ist interessant, dass du sagst: was muss sich verändern und dann was verändert werden muss. Die zweite Art zu Fragen ist anders. Vielleicht könnte eine Frage sein, wie wir an dieser Veränderung teilnehmen und ich glaube die Antwort fällt für jeden anders aus. Es ist schwer, hier eine allgemeine Anweisung zu geben, was du tun sollst. Die Art und Weise, wie ich es beschreibe, ist, dass alle unsere Systeme auf einer Geschichte aufgebaut sind, welche auf jeder Ebene operiert: der politischen, pädagogischen, medizinischen, sozialen, ökonomischen, architektonischen, personellen und interpersonellen. Diese Geschichte ist die Grundlage für das gesamte System. Diese Geschichte zu ändern, ist der tiefgreifenste Weg, das System zu verändern. Diese Geschichte zu verändern, bedeutet anders zu leben und in Aktion und in Beziehung zu treten mit anderen Menschen, die nicht in diese alte Geschichte passen. Das sagt praktisch: die Welt ist nicht, wie du dachtest. Die Welt funktioniert nicht, wie du dachtest. Und du bist nicht mehr der oder die du dachtest zu sein. Die Geschichte zu verändern, hängt davon ab, auf welcher Ebene du operierst und hängt von deiner Situation im Leben, deinen persönlichen Fähigkeiten und was dich zu diesem Zeitpunkt anzieht, ab. Kannst du uns ein Beispiel geben, wie die "alte Geschichte", die “alte Erzählweise”, zu verändern ist? Die Geschichte des Au-Pair-Mädchens, welches Geld der Familie gestohlen hat und in der der betreute Junge all sein Geld nimmt, um es seiner Mutter mit der Bitte zu geben, es dem Mädchen zu schicken, da sie scheinbar Geld braucht. Das ist ein gutes Beispiel, die Matrix zu sprengen. Jemand stiehlt dir Geld und du gibst ihm noch mehr; das lässt ihre Geschichte der Welt zerbrechen. So etwas sollte nicht passieren. Aber wenn es passiert, ist man gezwungen zu reevaluieren. Hier ist ein Datenpunkt, der nicht in den Rahmen - in die Matrix - passt. Du musst alles neu schreiben. Du musst alles ändern, damit dieser Punkt reinpasst. Allerdings haben Geschichten auch Immunsysteme. Oftmals, wenn jemand einen solchen Punkt sieht, eine Erfahrung macht, die nicht in seine oder ihre Weltanschauung passt, eliminieren sie diesen Punkt. Sie werden sagen.... ...es scheint einfach unbedeutend. Richtig. Das war eine Anomalie, das ist nicht wirklich passiert. Diese Person hat mich eigentlich nur ausgenutzt. Oder diese Person hat ein mentales Problem, darum war sie so großzügig. Oder diese Person möchte sich einfach nur gut fühlen. Es gibt immer einen Weg der Verneinung. Die Einladung zu verweigern. Aber jede Erfahrung, die nicht in die Welt passt, die du kennst, ist eine Einladung in eine größere Welt. Ich denke, wir können Menschen durch die Art und Weise, wie wir in der Welt sind, diese Einladung anbieten. Es könnte auf persönlicher Ebene geschehen, aber auch auf politischer Ebene. Es könnte auf jeder Ebene passieren. Aber woher bekommt jemand die Fähigkeit, ja dazu zu sagen? Warum sagt die eine Person nein dazu, wenn diese Erfahrung gemacht wird? Wenn jemand Großzügigkeit erfährt, so ist dies eine Einladung, selbst großzügig zu werden. Diese Einladung kann man nun annehmen oder zurückweisen, indem man sagt: "ich habe es sowieso verdient". Aber was unterscheidet die beiden Personen? Ist eine besser als die andere? Hat es eine von beiden mehr versucht? Oder hat eine Person eine Erfahrung gemacht, die sie etwas mehr geöffnet hat? Ich glaube daher, dass man fast gar nichts tun kann, um erleuchteter zu werden. Was wird sich innerhalb der nächsten fünf Jahren signifikant ändern? Was wahrscheinlich passieren wird, ist, dass die Dinge für einige weitere Jahre beim Alten bleiben und sich sogar noch intensivieren werden. Und dann wird es eine weitere gravierende Krise irgendeiner Art geben. Es könnte eine finanzielle Krise oder eine irgendwie geartete nationale Katastrophe sein. Das ist wie mit einem Seil, welches enger und enger gespannt wird. Wenn es locker ist, braucht man eine Menge Gewalt, um es durchzuschneiden, aber wenn es sich spannt, genügt der geringste Anlass, es reißen zu lassen. Das bedeutet, dass man den Zeitpunkt, wann dieses Ereignis eintreten wird, nicht wirklich vorhersagen kann. Natürlich könnte sich morgen eine Naturkatastrophe ereignen und alles verändern. Oder eine ökonomische Krise. Viele erwarten, dass das Geldsystem kollabieren wird. Gibt es einen Weg, wie Währungen, alternative Währungen, komplementäre Währungen oder die Art und Weise, wie sie geschaffen werden, irgendwie helfen können, den Prozess zu verbessern? Oder wie könnten sie die Commons unterstützen? Viele Menschen fragen sich, welche Rolle Geld in diesem Kontext spielt und spielen sollte. Ich glaube komplementäre Währungen sind vor allem als eine Art Beweis dafür hilfreich, dass ein anderer Weg möglich ist, aber ich glaube nicht, dass sie eine große Wirkung haben. Kannst du Bespiele geben? Wo siehst du, das sie funktionieren? Viele kommen und gehen. Also ich sehe keine von ihnen wirklich gut funktionieren. Ich meine, das Bristol Pound funktioniert ziemlich gut, weil auch die lokale Regierung daran teilnimmt. Es gab mal welche in Brasilien. Zeitbanken können sehr gut funktionieren, aber ihr Effekt ist ziemlich marginal. Wenn man sie wirklich nutzen möchte, müsste man aufhören Geld und normale Währungen zu benutzen. Dies passiert in Gegenden wie Griechenland, wo es keins gibt, aber die Menschen weiterhin Kartoffeln haben und andere Wege entwickeln. Es muss eine große Veränderung geben. Es muss eine große Krise geben. So kommt Veränderung zustande. So ereignet sich Geburt. So ereignet sich Tod. So kommen große Veränderungen zustande. Und das ist, was passieren wird. Oftmals wenn du auf der anderen Seite der Krise bist, wird dir bewusst, dass es gar nicht so eine große Krise war, wie du befürchtet hast. Es ist furchteinflößender, von dieser Seite als von der anderen Seite. Auf der anderen Seite magst du sagen, "ja wir waren obdachlos für eine Weile, wir haben für ein halbes Jahr mit 30 Leuten in einer Wohnung gelebt, aber es war nicht so schlimm". Es gibt schlimmere Dinge die jetzt passieren - Kinder verhungern - ich glaube das muss nicht passieren. Ja, wir sind durch viel härtere Zeiten gegangen. In Zeiten von Kriegen. Richtig. Aber das ist der Anschein. Was ich wirklich als Krise ansehe, ist wenn existierende Bedeutungs- und Wertsysteme auseinanderfallen. Wenn für die Menschen die Art und Weise, wie die Welt um sie herum funktioniert keinen Sinn mehr stiftet. Das macht den Weg frei für Menschen, andere Systeme zu nutzen, neue Bedeutungs- und Wertsysteme. Würdest du zustimmen, dass im Kern der Veränderung eine Wertewandel greift? Ich glaube, dass der Wertewandel hervorgerufen wird von einer Wahrnehmungsverschiebung der eigenen Innenwelt. Die Zähmung des Wilden wurde früher sehr wertgeschätzt und Menschen sind gern in Zoos und in den Zirkus gegangen, weil hier die Bestätigung sichtbar wurde, dass sie die Beherrscher der Natur waren. Heute ist das kein so ein hoher Wert mehr. Im Gegenteil: es stößt zunehmend ab. Wir wollen die Wildnis und Natur bewahren und von ihr lernen. Dieser Wertewandel kommt von einer Verschiebung der Wahrnehmung von wer wir sind und was Natur ist. Nämlich nicht nur eine Ressource, die tot ist und in der lediglich chemische Prozesse passieren oder die aus einem Haufen von Mineralien bestehen. Wir beginnen Natur mit anderen Augen zu sehen und wir sehen uns selber anders in Beziehung zur Natur. Wir erkennen, dass wir nicht nur praktisch, sondern fundamental von der Natur abhängig sind in einer Weise, der wir uns niemals entziehen können. Dieses neue Verständnis wird andere Werte schaffen. Vielen Dank für das Gespräch Charles!Charles Eisenstein ist ebenfalls einer der Speaker, die dieses Jahr zum OuiShare Fest kommen werden. Sei mit dabei!

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Thomas Doennebrink
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January 14, 2015
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Charles Eisenstein ist Sozialphilosoph, Redner und Autor diverser Bücher einschließich The Ascent of Humanity (2007), Sacred Economics (2011), und The More Beautiful World Our Hearts Know Is Possible (2013). Nach Eisenstein basiert jedes System auf einer sie unterfütternden Weltsicht, einer Geschichte.

Er unterscheidet die alte Geschichte - eine Geschichte der Trennung - in welcher Menschen sich als voneinander und dem Rest der sie umgebenden natürlichen Welt als getrennt sehen, von der neuen Geschichte - einer Geschichte des Zwischendaseins - in welcher wir Menschen anfangen zu begreifen und danach zu handeln beginnen, was uns wirklich wichtig ist. Er ist davon überzeugt, dass die kraftvollste Art, das System zu verändern ist, diese Geschichte zu ändern. Im Rahmen seines Aufenthalts in Berlin für einen OuiShare Talk im vergangenen Jahr hatten wir die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Thomas Dönnebrink: Zugang schlägt Besitz; verändert dieser Hauptaspekt der kolloborativen Wirtschaft fundamental und nachhaltig das Konzept unserer auf Besitz und Eigentum basierenden Wirtschaft und Gesellschaft? Jüngeren Menschen scheinen zunehmend Privateigentum ein nicht mehr so hocher Wert zu sein.Charles Eisenstein:

Das steht in Bezug zu einer Verschiebung in der Konzeption der Selbstvorstellung. Privatbesitz macht viel Sinn wenn man sich selbst als getrenntes Individuum in einem feindlichen Universum begreift in dem jeder nur auf die Maximierung seiner Eigeninteressen aus ist. Die Verfügungsgewalt und Kontrolle von Dingen bedeutet: Ich kann es nutzen und du nicht. Ich habe die Kontrolle über diese Ressource. Wer die Welt als kompetitiv und feindselig versteht, wird dies wollen und wertschätzen, aber wer die Welt und sich selber anders sieht, wird dem nicht mehr so einen hohen Wert beimessen. Ich möchte nicht behaupten, dass die Geschichte notwendigerweise zuerst kommt, aber woher haben wir diese Geschichte? Zum Teil kommt sie daher, weil wir in einer Welt leben, welche diese Geschichte reflektiert. Sie bestärken sich gegenseitig. Welche Rolle spielt in diesem Bild die Sharing Economy, Kollaborative Ökonomie, Peer-zu-Peer Netzwerke - einige sprechen von einer Peer-zu-Peer Revolution? Aus dem linken politischen Spektrum kommt eine starke Kritik, dass die Idee der Sharing Economy nicht wirklich etwas verändert. Ich glaube allerdings, dass es ein Schritt in eine mehr Commons basierte gemeinschaftliche Lebens- und Gedankensweise ist. Bei Airbnb profitierst du weiterhin von deiner exklusiven Nutzungskontrolle deines Apartments. Ein Linker könnte sagen:"wie ändert dies etwas?". Es ist weiterhin Kapitalismus. Aber es ist dezentralisiert und das Wirtschaftswachstum, welches durch die Sharing Economy generiert wird, trägt mit neuen Gütern und Dienstleistungen zur Wirtschaft bei. Sagen wir einmal, das BIP erhöht sich um 100 €, jedes Mal wenn du dein Apartment vermietest - dann schrumpft die Hotelindustrie um einen Faktor, der größer ist als der Sharing Economy Zuwachs, weil es keine Zwischenhändler, keine zentralisierten Infrastrukturen gibt. Somit ist das Teil des Degrowth-Trends. Dies ist sehr bedrohlich für das Finanzsystem. Es ist ein kleiner Schritt zur Idee: Apartments sind zum Teilen da. Es gewöhnt die Menschen daran, Dinge zu teilen. Selbst wenn Geld dabei involviert ist, denn der nächste Schritt könnte sein, dass du dich selber nicht mehr als der Eigentümer betrachtest. Daher ist es signifikanter, als die linke Kritik es sieht. Manchmal wird gesagt, dass für das Car Sharing weiterhin Autos gebraucht werden; was aber, wenn man die "Volldroge" Privatauto vergleicht mit der "Halbdroge", bei Bedarf ein Auto zu mieten oder teilen? Ja, wo Car Sharing in größerem Stil praktiziert wird, werden weniger Autos gebraucht. Das ist auch Degrowth. Es wird diskutiert - auch innerhalb von OuiShare - was es bedeutet, dass große Venture Capital Firmen nun Millionen und Billionen in die Sharing Economy investieren. Sind sie dabei, die Sharing Economy wieder in die kapitalistische Welt zu integrieren oder sich selber auszuverkaufen? Versuchen sie lediglich das letzte bißchen auszupressen, bevor sie eingehen? Ich glaube, man kann in der Sharing Economy schon Geld machen. Google hat eine Menge Geld verdient, aber den Betrag, den sie einfahren, entspricht nicht dem Geldbetrag, der den traditionellen Medien verloren geht. Wikipedia ist ein gutes Beispiel. Sie machen nicht wirklich Geld, weil sie non-profit sind. Man kann in der Sharing Economy Geld verdienen, aber mehr Geld wird im Außen verloren. Das ist Teil des Degrowth-Trends. Die Bertelsmann Stiftung - eine deutsche Mainstreamstiftung - brachte in einer Umfrage zu Tage, dass sich fast 90% der Menschen in Deutschland und Österreich eine andere Wirtschaftsordnung wünschen. Warum haben wir dann noch diese Wirtschaftsordnung? Menschen nehmen die ganze Zeit an Systemen teil, an die sie nicht wirklich glauben. Im Kommunismus war es ebenso. In der Sowjetunion und in Ostdeutschland haben am Ende selbst die Eliten nicht mehr an das System geglaubt. Dennoch erschien es, als würde jeder daran glauben. Alle Institutionen waren mächtig wie zuvor, aber der Kern war weg. Oder der Glaube war verschwunden. Ich glaube, bei uns ist es jetzt eine ähnliche Situation. Die meisten Jobs in unserer Gesellschaft sind jetzt nicht so, dass Menschen sie wirklich machen wollen, besonders wenn Ihnen bewusst wird, dass sie zur Zerstörung des Planeten beitragen. Dennoch machen sie weiter, weil sie Angst davor haben, was passieren mag, wenn sie ihren Job kündigen. Um wirklich zu vermeiden, mitschuldig zu werden, musst du aber ab einem bestimmten Punkt auch die Regeln brechen. Es ist daher ziemlich offensichtlich, warum Menschen weiterhin partizipieren. Was muss sich verändern, was muss verändert werden, damit Veränderung geschehen kann? Es ist interessant, dass du sagst: was muss sich verändern und dann was verändert werden muss. Die zweite Art zu Fragen ist anders. Vielleicht könnte eine Frage sein, wie wir an dieser Veränderung teilnehmen und ich glaube die Antwort fällt für jeden anders aus. Es ist schwer, hier eine allgemeine Anweisung zu geben, was du tun sollst. Die Art und Weise, wie ich es beschreibe, ist, dass alle unsere Systeme auf einer Geschichte aufgebaut sind, welche auf jeder Ebene operiert: der politischen, pädagogischen, medizinischen, sozialen, ökonomischen, architektonischen, personellen und interpersonellen. Diese Geschichte ist die Grundlage für das gesamte System. Diese Geschichte zu ändern, ist der tiefgreifenste Weg, das System zu verändern. Diese Geschichte zu verändern, bedeutet anders zu leben und in Aktion und in Beziehung zu treten mit anderen Menschen, die nicht in diese alte Geschichte passen. Das sagt praktisch: die Welt ist nicht, wie du dachtest. Die Welt funktioniert nicht, wie du dachtest. Und du bist nicht mehr der oder die du dachtest zu sein. Die Geschichte zu verändern, hängt davon ab, auf welcher Ebene du operierst und hängt von deiner Situation im Leben, deinen persönlichen Fähigkeiten und was dich zu diesem Zeitpunkt anzieht, ab. Kannst du uns ein Beispiel geben, wie die "alte Geschichte", die “alte Erzählweise”, zu verändern ist? Die Geschichte des Au-Pair-Mädchens, welches Geld der Familie gestohlen hat und in der der betreute Junge all sein Geld nimmt, um es seiner Mutter mit der Bitte zu geben, es dem Mädchen zu schicken, da sie scheinbar Geld braucht. Das ist ein gutes Beispiel, die Matrix zu sprengen. Jemand stiehlt dir Geld und du gibst ihm noch mehr; das lässt ihre Geschichte der Welt zerbrechen. So etwas sollte nicht passieren. Aber wenn es passiert, ist man gezwungen zu reevaluieren. Hier ist ein Datenpunkt, der nicht in den Rahmen - in die Matrix - passt. Du musst alles neu schreiben. Du musst alles ändern, damit dieser Punkt reinpasst. Allerdings haben Geschichten auch Immunsysteme. Oftmals, wenn jemand einen solchen Punkt sieht, eine Erfahrung macht, die nicht in seine oder ihre Weltanschauung passt, eliminieren sie diesen Punkt. Sie werden sagen.... ...es scheint einfach unbedeutend. Richtig. Das war eine Anomalie, das ist nicht wirklich passiert. Diese Person hat mich eigentlich nur ausgenutzt. Oder diese Person hat ein mentales Problem, darum war sie so großzügig. Oder diese Person möchte sich einfach nur gut fühlen. Es gibt immer einen Weg der Verneinung. Die Einladung zu verweigern. Aber jede Erfahrung, die nicht in die Welt passt, die du kennst, ist eine Einladung in eine größere Welt. Ich denke, wir können Menschen durch die Art und Weise, wie wir in der Welt sind, diese Einladung anbieten. Es könnte auf persönlicher Ebene geschehen, aber auch auf politischer Ebene. Es könnte auf jeder Ebene passieren. Aber woher bekommt jemand die Fähigkeit, ja dazu zu sagen? Warum sagt die eine Person nein dazu, wenn diese Erfahrung gemacht wird? Wenn jemand Großzügigkeit erfährt, so ist dies eine Einladung, selbst großzügig zu werden. Diese Einladung kann man nun annehmen oder zurückweisen, indem man sagt: "ich habe es sowieso verdient". Aber was unterscheidet die beiden Personen? Ist eine besser als die andere? Hat es eine von beiden mehr versucht? Oder hat eine Person eine Erfahrung gemacht, die sie etwas mehr geöffnet hat? Ich glaube daher, dass man fast gar nichts tun kann, um erleuchteter zu werden. Was wird sich innerhalb der nächsten fünf Jahren signifikant ändern? Was wahrscheinlich passieren wird, ist, dass die Dinge für einige weitere Jahre beim Alten bleiben und sich sogar noch intensivieren werden. Und dann wird es eine weitere gravierende Krise irgendeiner Art geben. Es könnte eine finanzielle Krise oder eine irgendwie geartete nationale Katastrophe sein. Das ist wie mit einem Seil, welches enger und enger gespannt wird. Wenn es locker ist, braucht man eine Menge Gewalt, um es durchzuschneiden, aber wenn es sich spannt, genügt der geringste Anlass, es reißen zu lassen. Das bedeutet, dass man den Zeitpunkt, wann dieses Ereignis eintreten wird, nicht wirklich vorhersagen kann. Natürlich könnte sich morgen eine Naturkatastrophe ereignen und alles verändern. Oder eine ökonomische Krise. Viele erwarten, dass das Geldsystem kollabieren wird. Gibt es einen Weg, wie Währungen, alternative Währungen, komplementäre Währungen oder die Art und Weise, wie sie geschaffen werden, irgendwie helfen können, den Prozess zu verbessern? Oder wie könnten sie die Commons unterstützen? Viele Menschen fragen sich, welche Rolle Geld in diesem Kontext spielt und spielen sollte. Ich glaube komplementäre Währungen sind vor allem als eine Art Beweis dafür hilfreich, dass ein anderer Weg möglich ist, aber ich glaube nicht, dass sie eine große Wirkung haben. Kannst du Bespiele geben? Wo siehst du, das sie funktionieren? Viele kommen und gehen. Also ich sehe keine von ihnen wirklich gut funktionieren. Ich meine, das Bristol Pound funktioniert ziemlich gut, weil auch die lokale Regierung daran teilnimmt. Es gab mal welche in Brasilien. Zeitbanken können sehr gut funktionieren, aber ihr Effekt ist ziemlich marginal. Wenn man sie wirklich nutzen möchte, müsste man aufhören Geld und normale Währungen zu benutzen. Dies passiert in Gegenden wie Griechenland, wo es keins gibt, aber die Menschen weiterhin Kartoffeln haben und andere Wege entwickeln. Es muss eine große Veränderung geben. Es muss eine große Krise geben. So kommt Veränderung zustande. So ereignet sich Geburt. So ereignet sich Tod. So kommen große Veränderungen zustande. Und das ist, was passieren wird. Oftmals wenn du auf der anderen Seite der Krise bist, wird dir bewusst, dass es gar nicht so eine große Krise war, wie du befürchtet hast. Es ist furchteinflößender, von dieser Seite als von der anderen Seite. Auf der anderen Seite magst du sagen, "ja wir waren obdachlos für eine Weile, wir haben für ein halbes Jahr mit 30 Leuten in einer Wohnung gelebt, aber es war nicht so schlimm". Es gibt schlimmere Dinge die jetzt passieren - Kinder verhungern - ich glaube das muss nicht passieren. Ja, wir sind durch viel härtere Zeiten gegangen. In Zeiten von Kriegen. Richtig. Aber das ist der Anschein. Was ich wirklich als Krise ansehe, ist wenn existierende Bedeutungs- und Wertsysteme auseinanderfallen. Wenn für die Menschen die Art und Weise, wie die Welt um sie herum funktioniert keinen Sinn mehr stiftet. Das macht den Weg frei für Menschen, andere Systeme zu nutzen, neue Bedeutungs- und Wertsysteme. Würdest du zustimmen, dass im Kern der Veränderung eine Wertewandel greift? Ich glaube, dass der Wertewandel hervorgerufen wird von einer Wahrnehmungsverschiebung der eigenen Innenwelt. Die Zähmung des Wilden wurde früher sehr wertgeschätzt und Menschen sind gern in Zoos und in den Zirkus gegangen, weil hier die Bestätigung sichtbar wurde, dass sie die Beherrscher der Natur waren. Heute ist das kein so ein hoher Wert mehr. Im Gegenteil: es stößt zunehmend ab. Wir wollen die Wildnis und Natur bewahren und von ihr lernen. Dieser Wertewandel kommt von einer Verschiebung der Wahrnehmung von wer wir sind und was Natur ist. Nämlich nicht nur eine Ressource, die tot ist und in der lediglich chemische Prozesse passieren oder die aus einem Haufen von Mineralien bestehen. Wir beginnen Natur mit anderen Augen zu sehen und wir sehen uns selber anders in Beziehung zur Natur. Wir erkennen, dass wir nicht nur praktisch, sondern fundamental von der Natur abhängig sind in einer Weise, der wir uns niemals entziehen können. Dieses neue Verständnis wird andere Werte schaffen. Vielen Dank für das Gespräch Charles!Charles Eisenstein ist ebenfalls einer der Speaker, die dieses Jahr zum OuiShare Fest kommen werden. Sei mit dabei!

by 
Thomas Doennebrink
Magazine
January 14, 2015
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